Das erste deutschsprachige Tape Art Handbuch

Kurz vor Weihnachten landete das Buch Tape Art: Kunst mit Klebeband – Ideen und Projekte in meinem Briefkasten, geschrieben und zusammengestellt vom Tape-Art-Kollektiv Klebebande in Zusammenarbeit mit Eva Hauck. Welches Potential Tape Art für den Kunstunterricht bietet, wurde hier auf dem Blog schon an anderer Stelle beleuchtet, nun steht mit der vermutlich ersten deutschsprachigen Publikation, die sich allein dem Thema Tape Art widmet, auch eine Art Handbuch zur Verfügung.

Klebebande: Tape Art, Haupt Verlag
Klebebande: Tape Art, Haupt Verlag

Inhalt

Das Buch bietet nach dem Vorwort zunächst eine Einführung in das Thema Tape Art. Dafür konnte der Tape-Art-Veteran Michael Townsend gewonnen werden, der seit 1989 im Bereich Tape Art produktiv tätig ist, aber auch die Szene seitdem weltweit beobachtet. Seine Einleitung gibt einen knappen Überblick über die Entwicklung von Tape Art und stellt kurz einige wesentliche Künstler vor, wobei allerdings nur einige mit Bildbeispielen bedacht werden – und einige wichtige auch nicht im Galerie-Teil des Buches (s.u.) auftauchen.
Die weiteren Inhalte des Buches sind in vier Kapitel gegliedert, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen:

1 Material und Werkzeug

In diesem Kapitel werden verschiedene Arten Klebeband (Gewebeband, PVC-Band, Spezial- und Effektklebebänder, Packband, Kreppband, Klebefolie) sehr ausführlich vorgestellt: Was sind deren Eigenschaften? Wie können sie verarbeitet werden? Auf welchen Untergründen können sie genutzt werden? Wozu eignen sie sich (nicht)? Was sind die Vor- und Nachteile dieses Materials?

Dabei wird auf den gesamten Prozess bis hin zur Ablösung des Klebebandes nach Beenden der Arbeit eingegangen. Besonders nützlich sind die praktischen Tipps zur Arbeit mit der jeweiligen Klebebandsorte, deren Befolgen sicherlich die eine oder andere Frustration ersparen kann. Konkrete Arbeitshinweise werden auch ausführlich im nächsten Kapitel („Techniken“)  besprochen. Ergänzt wird das Kapitel durch Hinweise zur Arbeit mit dem Cutter und seinen Alternativen – zur großen Freude aller PädagogInnen nicht ohne den typografisch hervorgehobenen Hinweis, die Klinge immer sofort nach Gebrauch einzuziehen, um Verletzungsgefahr vorzubeugen.

Blick ins Buch: Kapitel 1 - Material
Blick ins Buch: Kapitel 1 – Material

2 Techniken

In zweiten Kapitel geht es ganz konkret um das Verarbeiten des Klebebands zu Bildern. Dabei werden zunächst die Grundtechniken Kleben, Reißen und Schneiden Schritt für Schritt und sehr anschaulich mit entsprechenden Bildern erklärt. Es folgen Ausführungen zum Umgang mit Linien, Kurven und Flächen und zum Entwickeln jeweils entsprechender Motive, immer anhand verschiedener Beispiele. Weitere Techniken wie Negativ ausschneiden, gerissene Motive und Pixelbilder, sowie Hinweise zum Einsatz von Kontrasten, Mustern und Schrift / Typografie bis hin zu 3-D-Taping, regelrechten Klebeband-Installationen und Plastiken werden ebenfalls dargestellt. Abschließend folgen einige Gedanken zum Entwurf und zum Übertragen von Vorlagen, bei dem auch das Rasterverfahren und die Arbeit mit Hilfslinien besprochen werden.

3 Projekte

Anhand von 11 verschiedenen Projekte mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden werden die im vorangegangenen Kapitel besprochenen Techniken konkret umgesetzt und nochmals Schritt für Schritt mit Bildern erläutert. So können sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene sich gut zur eigenen Arbeit anleiten lassen. Die vorgestellten Projekte reichen von einfachen Bildern in kleineren und wandfüllenden Formaten über das Verzieren von Gebrauchsgegenständen (Tablet-Case, Stuhl, Jeansweste) und das Herstellen von „Face-Tapings“ bis hin zum Kleben im Außenraum (u.a. ein Wegeleitsystem). Wer Tape-Art-Projekte im Sinne von Street Art erwartet hat, kommt hier, bis auf das Wandbild und die zwei Ideen für den Außenraum, jedoch etwas zu kurz.

Blick ins Buch: Projekte: Wandbild in Schritt-für-Schritt-Anleitung
Blick ins Buch: Projekte: Wandbild in Schritt-für-Schritt-Anleitung

4 Galerie

Die abschließende Sammlung von Künstlerbeispielen zeigt eine große Bandbreite an Umsetzungsmöglichkeiten, viele davon in Innenräumen, als Installationen oder als gemälde-ähnliche „Leinwand“-Arbeiten. Street-Art-Beispiele sind vereinzelt zu finden, wobei man einige der in der Einführung genannten Künstler wie El Bocho oder Buff Diss vergeblich sucht. Von einem „tiefen Einblick“ (Klappentext) kann also nur mit Einschränkung die Rede sein, da gerade der Aspekt der Street Art hier etwas zu kurz zu kommen scheint.

Blick ins Buch: Tape Art Galerie
Blick ins Buch: Kapitel 4 – Galerie

Sonstiges

Natürlich dient das Buch auch der Selbstdarstellung der Künstler. Die Klebebande klebt mittlerweile kommerziell Auftragsarbeiten als Werbung für unterschiedlichste Firmen, wobei gerade auch das live-Kleben für diese Firmen zum Werbe-Event wird (ohne kommerziellen Hintergrund würde man in einem künstlerischen Rahmen wohl von Performance sprechen). Dass damit auch die Gefahr einhergeht, Tape Art als glaubwürdige Form der Street Art ins Hintertreffen geraten zu lassen, soll an dieser Stelle nur erwähnt, nicht diskutiert werden. Dem Potential für den Kunstunterricht tut dieser Aspekt der Auftragsarbeit nicht unbedingt Abbruch: Das Setting der Auftragsarbeit kann im Unterrichtsgeschehen u.U. durch Einschränkung (Aufgabe: „Du hast von der Firma xy den Auftrag erhalten, ihr Produkt z mit einer Tape-Art-Arbeit zu bewerben. Gestalte…“ ) eine Orientierung für die Schülerinnen und Schüler geben, insbesondere für diejenigen, die sonst mit der Freiheit offener gestellter Aufgaben („Gestalte ein Bild aus Klebeband“) überfordert sein könnten. Wie immer gilt hier allerdings, individuell nach Lerngruppe zu entscheiden, wie die Aufgabe genau formuliert werden sollte.

Die Autoren verfügen unabhängig davon jedenfalls nicht nur über das nötige technische Know-How sondern als Workshopleiter auch über Erfahrungen in der Vermittlung von Klebetechniken, wovon die anleitenden Texte definitiv profitieren. Ihren ursprünglichen künstlerischen Hintergrund – sie seien über die Verwendung von Klebeband im Zusammenhang mit Acrylmalerei zur Tape Art gekommen – nutzen die drei Klebebande-Mitglieder, um in ihren Texten außerdem immer wieder interessante Parallelen und Unterschiede zwischen Tape Art und Malerei aufzuweisen.

Fazit für Kunstlehrende: Nutzen des Buches für den Unterricht

Definitiv nützlich und hilfreich für Kunstlehrende sind die reich bebilderten und gut nachvollziehbaren Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Arbeitshinweise, die den Hauptteil des Buches ausmachen. Diese können beispielsweise im Sinne der Werkstattarbeit selbstständig von den SuS als Nachschlagewerk genutzt werden – wenn man auf Learning-By-Doing verzichten und / oder SchülerInnen mit geringerer Frustrationstoleranz im Sinne der Differenzierung etwas an die Hand geben möchte. Die Autoren verweisen auch immer wieder auf ihre Workshop-Erfahrungen (auch in der Arbeit mit Kindern), was recht hilfreich ist. Insgesamt ermutigt das Buch, direkt loszulegen.

Als Ideengeber funktioniert das Buch auch gut, jedoch ließe sich diese Funktion u.U. flexibler (und kostengünstiger) durch eine Suche im Internet (einige Links siehe unten) erfüllen, mit dem Vorteil, digital vorhandene Bilder direkt über den Beamer für alle sichtbar an die Wand projizieren zu können.

Kurz gesagt…

Wer auf eine Art Handbuch zum Thema Tape Art nicht verzichten möchte und die stolzen Kosten von fast 40 € nicht scheut, wird die knapp 2 cm Platz im Regal recht sinnvoll genutzt wissen – zumal es bisher keine Alternative gibt und auch die einschlägigen Schulbuchverlage sich bislang noch nicht intensiver dem Thema Tape Art gewidmet haben. Allen anderen sei einfach zum praktischen Ausprobieren auch ohne Handbuch geraten, um die Tücken im Umgang mit verschiedenen Tape-Sorten selbst zu erfahren, auch wenn Ausprobieren und Recherche zu Beispielen mehr Zeit erfordern wird als die Lektüre der entsprechenden Kapitel dieses Buches. Aber auch im Unterricht gilt doch: Gerade das Selbermachen und die Trial-and Error-Erfahrungen im Umgang mit einem Material machen den Lernprozess besonders nachhaltig. Und gerade Tape Art als Technik mit geringem Frustpotential bietet für solche Erfahrungen ein sehr schülerfreundliches Setting.

Zu beziehen ist das Buch direkt beim Haupt-Verlag, auf dessen Hompage außerdem das Inhaltsverzeichnis, eine Leseprobe sowie Infos zu den Autoren zu finden sind. All diejenigen, die Porto sparen möchten oder nach günstigeren Gebrauchtexemplaren Ausschau halten möchten, werden bei Amazon fündig.

Klebebande: Tape Art – Kunst mit Klebeband – Ideen und Projekte, 1. Auflage 2015
168 Seiten, durchgehend farbige Abbildungen, gebunden, 21 x 24,5 cm
ISBN: 978-3-258-60131-1
Haupt Verlag, 39,90 €

Die Klebebande live

…gibt es in einem 7-minütigen Arte-tracks-Beitrag, in dem u.a. auch Buff Diss sowie der Haus- und Hoflieferant Klebeland aus Berlin zu Wort kommen und Grenzbereiche zwischen Tape Art, Performance und Installation thematisiert werden.

Weitere interessante Tape-Artisten:

Buff Diss
Tape over
Mark Khaisman
No curves
El Bocho

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