Was ist Rezeption?
Rezeption im Zusammenhang mit Kunst beschreibt eine über das bloße Wahrnehmen hinausgehende geistige Auseinandersetzung mit einem Bild (vgl. Uhlig 2005, 97), die das Erleben, Erfahren, Verstehen und Deuten von Bildern beinhaltet. Diese Auseinandersetzungen, vor allem das Verstehen und Deuten, entsprechen im Sinne gängiger Kommunikationsmodelle im Prinzip dem Decodieren einer Nachricht, also der Entschlüsselung einer zuvor vom Sender / Urheber encodierten (möglichen) Botschaft bzw. Bedeutung durch den Empfänger / Rezipienten.
Die Rolle des Betrachters
Wichtig ist hierbei, dass diese Botschaft nicht als an sich festgelegt gelten darf, denn sie bildet sich vielmehr erst im Rezeptionsprozess, kontextabhängig und abhängig vor allem vom jeweiligen Betrachter und seinen Prägungen (vgl. u.a. Uhlig 2005, 99). So konstruiert der Rezipient Bedeutung individuell in Verknüpfung des Wahrgenommenen mit eigenen Erfahrungen und im Abgleich mit anderen (Intersubjektivität). Der Künstler kann zwar eine bestimmte Intention verfolgt haben, diese Bedeutung kann der Rezipient aber „nicht ohne weiteres nachvollziehen“ (Uhlig 2005, 99).
„Insofern gibt es kein richtiges oder falsches Verstehen, sondern lediglich ein mehr oder weniger tief greifendes, polymorphes, komplexes Verstehen, das zwar intersubjektiv Gültigkeit beanspruchen kann, jedoch immer mit dem subjektiven Rezeptionsprozess verbunden bleibt“ (Uhlig 2005, 99).
Dem Rezipienten kommt eine (bzw. die) entscheidende Rolle bei der Konstitution von Bedeutungen eines Bildes zu. Die klassische Frage „Was wollte der Künstler damit sagen?“ ist mehr oder weniger ungültig, da die Intention des Künstlers im Sinne der Rezeptionsästhetik nicht der einzig richtige Interpretationsansatz sein kann (vgl. Uhlig 2005, 82). Entsprechend ist es problematisch, überhaupt von einem Erfolg von Rezeptionsprozessen zu sprechen, wenn es keine überprüfbare, festlegbare „Lösung“ gibt.
Also alles beliebig?
Die Qualität einer Auseinandersetzung muss dennoch z.B. im Rahmen von Abiturklausuren immer wieder beurteilt und bewertet werden, wobei man sich verschiedener – mehr oder weniger konkreter – Kriterien bedienen kann (Tiefgründigkeit der Auseinandersetzung, Schlüssigkeit der Ausführungen…) um nicht in Beliebigkeit zu enden. Auch Schoppe weist darauf hin, dass es nicht allein die den Rezeptionsprozess prägenden persönlichen Interessen, Lebens- und Bilderfahrungen des jeweiligen Rezipienten, sondern auch Kenntnisse über „charakteristische formale Strategien […sind], mit deren Hilfe inhaltliche Botschaften [in / von Bildern] transportiert und betont werden“ (Schoppe 2011, 23) und die eine Basis und Hilfe für den Rezeptionsprozess darstellen.
Rezeptionskompetenz: Wissen, Können und Wollen
Rezeptionskompetenz muss also als ein komplexes Geflecht aus deklarativem, prozeduralem und metakognitivem Wissen, aber auch affektiven Komponenten wie Einstellungen und emotionalen Fähigkeiten betrachtet werden. Letztere beschreibt Uhlig folgendermaßen:
„Rezeptionskompetenz äußert sich […] in der Offenheit gegenüber der eigenen wie der Gedankenwelt des Künstlers, dem Zulassen von Wahrnehmungserfahrungen, der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Werk – die die Auseinandersetzung mit sich selbst einschließt – und der Fähigkeit zu flexiblem Denken. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, sich empathisch und emotional auf das Kunstwerk einzulassen“ (Uhlig 2005, 100).
Konstruktivistisch betrachtet sind Rezeptionsprozesse aber auch entscheidend von Intersubjektivität geprägt, sie sind nicht zuletzt soziale Prozesse. Daher spielt nicht nur die Auseinandersetzung des Individuums mit einem Bild eine wesentliche Rolle, sondern auch die mit anderen Schülerinnen und Schülern. Entsprechend sind soziale und kommunikative Fähigkeiten vonnöten.
Schlussfolgerungen für den Unterricht: Bildzugänge statt Bildanalyse
Für das methodische Vorgehen im Unterricht muss daraus geschlossen werden, dass es, zumindest für die Sekundarstufe I, nicht unbedingt Ziel im Kunstunterrichtes sein muss, tadellose kunstwissenschaftliche Bildanalysen von den SuS durchführen zu lassen. Vielmehr geht es um ein „Herabbrechen der kunstwissenschaftlichen […] Methodik auf die Ebene und damit die Interessen und Möglichkeiten der jugendlichen Schülerinnen und Schüler“ (Schoppe 2011, 29). Kunstgeschichte und Kunstdidaktik dürfen, auch wenn sie Berührungspunkte aufweisen, nicht verwechselt werden: „Für die Primar- und Sekundarstufe dienen besondere Fachmethoden zur Vermittlung von Bilduntersuchungen, die partiell erheblich reduziert, handlungsorientiert und von der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen bestimmt sind“ (Schoppe 2011, 94f.). Schoppe schlägt entsprechend vor, statt von Analyse von „Bildzugang und Erschließung von Bildgehalten“ (Schoppe 2011) zu sprechen.
Quellen:
Schoppe, Andreas: Bildzugänge. Kallmeyer / Klett, Friedrich-Verlag, Seelze 2011
Uhlig, Bettina: Kunstrezeption in der Grundschule. Kopaed, München 2005
Der Text basiert auf Ausführungen der Autorin aus dem Jahr 2011.
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